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Montag, 1. November 2004

Bremer Freimarkt: Tradition 1

Linke Hand Infozettel, rechte Hand Sammelbüchse.
Ab und zu durch das Schütteln der Büchse das typische Rasselgeräusch erzeugen, um auf die eigene Anwesenheit und die zu füllende Dose aufmerksam zu machen.
2 Stunden ehrenamtliches Sammeln am "Brot für die Welt"-Stand.
Folgendes gibt es immer gratis und exklusiv für die Sammler:

-"Aber die Wurst bleibt hier, hö-hö-hö" (Witzbold, der um Anerkennung seiner ihn begleitenden Gruppe heischt)
-"Mir gibt auch keiner was!" (Mitvierziger, besoffen wie eine Haubitze)
-"Ich hasse diese Klingelbeuteltypen" (Junge Frau Anfang 20, im Mantel mit Pelzkragen, laut im vorbeigehen zu dem ihr hinterherlaufendem Verehrer, der beim Versuch mit ihr Schritt zu halten kaum Zeit hat, auf diesen Spruch zu reagieren)
-<Halbstarker, der mit der leeren Faust das Schütteln der Sammelbüchse nachäffend und dabei schmutzig "hä-hä-hä" grunzend. Gefolgt vom schnellen Rundumblick zu den begleitenden Kumpanen, in fragende Gesichter die Bewegung in Beckenhöhe wiederholend und erneut meckernd "den hier, hä-hä" von sich gebend>
-"Kann ich dafür auch eine Spendenquittung bekommen?" (Junger Mann in den Zwanzigern nach Einwurf eines 50 Centstücks, triumphierend ob der gelungenen Bemerkung seine weibliche Begleitung ansehend)
-"Bitteschön" (Mittdreissiger, nachdem er so getan hatte, als würde er ein Geldstück einwerfen wollen und dann nur mit zusammengekniffenen Daumen & Zeigefinger auf den Münzspalt der Dose gedrückt hatte)
-"Überall diese scheiß Spendensammler" (Pärchen im mittleren Alter beim Verlassen des Freimarkts)
-"Das ist doch nicht für dich, oder?" (Gute Güte, sehe ich denn wirklich so aus, als wenn es mir sooo dreckig ginge?)
-"Kommt denn da auch was zusammen?" (Teenagerin mit Begleitung) Ich: Ja, im letzten Jahr über 14.000 Euro "Hast du das alles alleine gesammelt? Nein, ich bin jedes Jahr nur für zwei Stunden dabei (jaja, die Jugend, die hält noch alles für möglich)
-"Gegen Aids! Das ist wichtig." (Junge Dame zückt nach dem Lesen des Handzettels ein weiteres 2 Eurostück).
"Das hast du gutgemacht!" (Vater zu seinen knapp 6jährigen Sprössling, der alleine eine Münze in die Dose geworfen hatte)
"Wir spenden immer nach dem Freimarkt. Wenn wir Spass hatten, dann geben wir auch was für die, denen es nicht so gut geht. Das ist gute Bremer Tradition" (Herr Anfang 40 mit Begleitung)

Viele Spender(innen) belohnen den Sammler mit einen Lächeln, einige sogar mit Schulterklopfen. Teils wird man derbe angerempelt, manche greifen und ziehen an der Sammelbüchse, andere Stellen sich zu viert mit den Rücken direkt vor den Sammler. Wer spenden wird, ist an Äußerlichkeiten nicht vorher zu erkennen. Mal jung, mal alt, mal voll, mal nüchtern, mal mürrisch im hastigen vorbeigehen, mal mit der Liebe selber im Gesicht und einem freundlichen Wort, mal viel, mal Centstücke. Mal niemand, mal ganze Gruppen am Stück.

Ich versuche immer freundlich zu bleiben und keinen Gedanken an die Mengen zu verschwenden, die nichts spenden (erst recht keinen Groll, weswegen auch? Muss man trotzdem erstmal lernen, wenn man so in der Kälte steht..), die "Komiker" nicht zu beachten, mich mit allen zu freuen, die sich ein großzügiges Herz bewahrt haben. Und wenn es mal wieder gar zu garstig ist oder einsetzender Sprühregen die Mundwinkel nach unten drängen will: einfach nur den eigenen (ebenfalls sammelnden) Bruder ansehen und mich erinnern, wie er dereinst als Koopa Troopa bei SuperMarioCart um die Kurven donnerte. Die fiktive Frage, ob er jetzt wohl einen kleinen grünen Schildkrötenpanzer unter seinem Mantel trägt, zaubert mir dann ein Grinsen auf die Lippen, welches jeden Breitmaulfrosch von Rang vor Neid erblassen ließe...

Und dann kommt irgendwann die Ablösung. Immer ein schöner Anblick. ;) Erst recht, wenn die Füße kalt geworden und die Arm-Muskulatur mich im Stich zu lassen droht.

Dem traditionellen Freimarktssammeln folgt dann in der Regel der traditionelle Freimarktsbesuch.
Auch wenn man den natürlich selber bezahlt, hofft man dann doch, dabei keinem Spender über den Weg zu laufen. Wer will sich schon für seinen Jahrmarktsbesuch ob misstrauischer Blicke rechtfertigen müssen...

Moechten Sie noch eine Information, wofuer Sie dieses Jahr gespendet haben?

Geschichten die das Leben schreibt | 00:31h | 0 Kommentare |comment