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Sonntag, 7. März 2004

Viva Colognia!

Wie könnte ein Reisebericht besser beginnen als mit der Schilderung der Reisevorbereitungen?
Mangels besserer Ideen leg ich mal los:

Es war der Morgen des 06. März 2004, ein Tag, der den Bremer Bürgern einen leichten Schneefall und wirklich frostige Temperaturen bescheren sollte.
Nachdem mich mein innerer Wecker um 05:00 h in der Früh das erste Mal aus dem Reich der Träume zerrte, wurde dies vom Verstand durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen. Schade nur, dass der Körper diesen Umstand nicht entsprechend zu würdigen wußte und mit Knurrgeräuschen, Umdrehen, Neueinkuscheln und sofortigem Start der Wiedereinschlafphase den inneren Wecker an die innere Wand werfen konnte..

Stunden später durfte ich dann allerdings doch noch aufstehen und die nächsten Schritte des mittlerweile fortgeschrittenen Tages planen:
Für ein gepflegte Frühstück fehlten Brötchen und Milch, für eine angstfreie Fahrt nach Köln eine gültige Fahrkarte und für ein Buch-Geschenk Schokolade.

Nachdem Verstand & Körper sich kurzfristig in Diskussionen um die besten Brötchenbäcker, den geschicktesten Fahrradrouten und dem immer wiederkehrendem Argument, dass es draussen "zu kalt wäre, um das Haus überhaupt verlassen zu können" aufrieben, einigten sich beide Seiten auf den Kompromiss, mit einer kurzen Katzenwäsche zu beginnen und alles weiteres aus dem Bauch heraus zu entscheiden.

Mehr oder weiniger gepflegt ergatterte dann der Punkt "Schokolade kaufen" den Top-Platz auf der "to-do"-Liste. Wenn der Bauch halt mal entscheiden darf...

Frage:
Gibt es etwas entzückenderes
als Schokoladenläden,
als Schokoladenläden in urgemütlichen uralten Häusern,
als Schokoladenläden im Winter,
als Schokoladenläden betreten mit einem gut gefüllten Geldbeutel,
als ein Rucksack gefüllt mit frischer Schokolade (aus dem Schokoladenladen im urgemütlichen mittelalterlichen Haus) im eiskalten Winterwind nach Hause zu fahren?

Oh ja, es gibt!
Zusätzlich bereits Brötchen & Milch fürs 14:00 Uhr-Frühstück im Säckerl zu haben. :o)

Das Frühstück verlief erwartungsgemäß lecker und entspannt. Der Schock, dass die geliebte Nektarinen-Marmelade schlecht geworden war ("I hope you and Jesus have it all worked out: Niemand lässt Don Nectarino 2 Wochen ungestraft auf der Fensterbank liegen!"), trübte das Frühstücksvergnügen dabei nur kurzfristig.

Schließlich, nach der finalen Einpack-, Wirklichgründlichwasch- und Anziehsession, ging es zügigen Schrittes zum Bahnhof. Am Gleis stand ein ICE. Schöne Überraschung, war mir doch tatsächlich durch die Lappen gegangen, dass ich eine Fahrt im Vorzeigeprodukt der deutschen Bahnindustrie gebucht hatte. Yeah!

Zwei Stunden später fühlte ich mich innerlich genötigt, die sanitären Installationen dieses Hightech-Wunders mal gründlich auszutesten. Und wow, diese ICE-Toiletten sind ja wirklich fortschrittlich. Ich war ehrlich tief beindruckt. Keine Fußpedale mehr, um Abfluss oder Frischwasserquelle zu öffnen. ALLES nur per Knopfdruck. Für die Klobrillen gibt sogar es Einwegüberzüge.
Und als Krönung einen Aufkleber, der den Gast in vier Sprachen auffordert, diesen Lokus bitte so zu verlassen, wie man ihn selber immer gerne vorfinden möchte. Hört, hört --- Hört, hört.
Die Spülung dann: fantastisch. Kurzes Gurgelgeräusch, und wie durch ein Wunder wird der Schüsselinhalt durch eine winzige Öffnung ge- ähh, mhh, also, ZISCHT? Unterdruck oder kleiner hilfreicher Kobold inside. Ob die Bahner das aus der Raumfahrt übernommen haben? Plötzlich sehe ich jede Milliarde der vereinigten Weltraumprogramme sinnvoll investiert. Wir haben also doch alle etwas für unser Geld erhalten. Erhalten, dieses blumige Wort. Mehr dazu später.

Endlich Einfahrt in den Kölner Hbf, der den Bremer Gast wie in falsch verstandener Gastfreundschaft mit typisch Bremer Schmuddelwetter empfängt. Die Schnee/Regengrenze hatte ich offensichtlich kurz hinter Münster passiert.

Wackeren Schrittes marschierte ich durch den Bahnhof. Zauberland will beim Durchschreiten aufmerksam beobachtet werden: Ein Klamottenladen (das sich sowas hält: nicht wirklich vorstellbar), ein Teddybär-Geschäft (wirklich süß, hach) und, sapperlot!, ein Bremer Teeladen. Wenn das kein Anfang ist!

Beim Verlassen der Bahnhofshalle Überraschung 1/4: Der Kölner Dom liegt direkt am Bahnhof. Das nenn ich mal eine auf Tourismus ausgelegte Stadtplanung. Da ich keine Lust auf U-Bahnfahrt hatte und Taxen selten aus reiner Nettigkeit Personenverkehr durchführen, starte ich die Suche nach dem nächsten Geldautomaten. Was mich zu Überraschung 2/4 führte. Fünf Meter links neben dem Haupteingang des Kölner Hbf sehe ich an einer Wand die Reklameschrift der Reisebank. Davor drei Männer, eng an eng, mir den Rücken zugekehrt. Da steht der Geldautomat, denke ich mir.
Einen Schritt näher sehe ich mich aufs Erschreckenste wiederlegt. FÜNF Meter neben dem Haupteingang (würg). "Das gibt es wohl nur Köln" denke ich, während ich zügigen Schrittes versuche, mehr Meter zwischen mich und den drei Urinstrahlern zu gewinnen.
Überaschung 3/4 fängt mein Blick beim weiteren Abscannen der Umgebung ein. Nein, da war immer noch kein Geldautomat in Sicht. Aber knapp unter dem Kölner Dom erblicke ich einen Werbebanner, auf dem ich irgendwas wie "Jesus lebt!" steht. Interessant genug, sich der Geschichte mal zu näheren.
Läuft hier momentan ein Big Tent Revival? Eine positve Veranstaltung voll Leben und Liebe?
"Plopp" zerplatzt auch diese Illusion. "Jesus lebt", soweit so gut. Das folgenden "Lies die Bibel und leb danach" vervollständigte mein Geist selbstständig um den Anhang "...und zwar genauso streng wie wir, so, und jetzt halt die Klappe, Sünder".
Sehr ernüchternd. Nicht ganz falsch, aber meine Güte. Klingt so selbstgerecht und überstülpend.
Überraschung 4/4 dann erneut säkularer, profaner Art. Nachdem ich tatsächlich noch eine Möglichkeit zum Geldzapfen gefunden hatte, wollte der Taxifahrer nämlich ernsthaft von MIR wissen, wie er den Weg zu meiner Zieladresse finden könnte. Warum bekomme immer ich diese Laien? Grumpf. Warum erhalte ich solche Fragen immer erst ca. 500 m NACHDEM die Fahrt begonnen hat? Und wie hat dieser Mann bloß einen Taxischein erhalten? Chinesisch essen gegangen und den richtigen Glückskeks geöffnet?

Irgendwann beginnt dann trotzdem eine Nacht gefüllt mit Kaffee, Chili, "Früh" (hicks) und 'nem exquisiten Stückchen Schokolade. Es ist eine dieser Nächte, in denen interessante, herzliche & lustige Menschen dem Konzept Zeit ein Schnippchen schlagen. Was sind sechs Stunden, deren Ablauf man nicht spürt? Gestohlen? Keine Ahnung. Jedenfall bin ich auf einer Welle vor dem Zeitgefühl gesurft, die mich bis zu meinem Aufbruch 'gen Bremen getragen hat.

Die Aussicht auf eine Nacht im eigenen Bett rief mich dann allerdings wie bereits angedeutet doch mit Macht von der Welle, zum Aufbruch, nach Hause.
Obwohl ich mich ein "wenig" spät meldete (hüstel), wurde ich noch in einer rekordverdächtigen Fahrt zum Bahnhof gebracht. Am Ende besaß ich sogar ein Zeitpolster von nahezu 5 Minuten.
DANKE! Ihr Zwei solltet mal ernsthaft prüfen, ob ihr nicht noch eine späte Karriere als Rally-Team startet... :o)

Nun stehe ich also völlig entspannt am richtigen Gleis zur perfekten Zeit im Kölner Hbf.
Gevatter Zeit, dem die kleinen Betrügereien dieser Nacht (Verlust des Zeigefühls / Blitzfahrt zum Bhf) sichtlich übel aufgestossen sind, wird plötzlich nachtragend und lässt sich tückisch lachend zurück ins Spiel einwechseln.
Für meinen Zug werden erst 10, dann 20 Minuten Verspätung blechern duch die Lautsprecher angesagt. Diese häppchenweise verkündete Verspätung war natürlich Teil von Gevatters grimmigen Racheplan.
Ca. 10 Minuten sind einfach zu ungewiss, um sich im Bahnhofsbereich auf Toilettensuche zu begeben. 20 Minuten sind kein Hindernis, aber 2 x 10 sind tückisch. Also tröstet man sich also mit "naja, nur 10 Minuten" während irgenwo in der Nähe LAUT PLÄTSCHERND Regenwasser eine Rinne herabstürzt Nach der anschließenden Durchsagen ("...quäkquäckquäck verschiebt sich von 10 auf mittlerweile 15 - 20 Minuten Verspätung...") ergiebt man sich somit notgedrungen für weitere 10 Minuten in andächtige Meditation über die sprudelnde Kraft endloser Wassermengen.

Zuletzt fährt der IC aber doch noch in Köln Hbf, Gleis 2, ein, und rollt nach kurzer Verschnaufpause ratternd dem Verlauf der Schienen und Schwellen folgend Richtung Norden.

Hier könnte der kleine Reisebericht friedlich mit dem Satz enden, dass ich zu Hause ankam, nach einer heissen Dusche ins Bett hüpfte und friedlich ins Land der Träume entfleuchte.

Könnte. Hätte. Würde.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es ja so schön und richtig.
Schnöde Theorie! Auf, Töchter, helft mir klagen. Jammer.

Spulen wir die Geschichte nochmal kurz zurück.

Gevatter Zeit war nämlich leider längst noch nicht fertig mit mir (verzweifeltes Lachen an der Tastatur).

Köln Hbf, Gleis 2, Claus sitzt im Zug, der IC rollt an, ratternd den Verlauf der Schienen und blablabla. Scheiß Eisenbahnromantik.
Zurück zu mir. Zum Erzähler. Zum Ich.
Ich hatte schnell ein Platz und gefunden, die kurze "Ableg- und-Einnist-Phase" hintermich gebracht und AUF! zum nächsten WC getaumelt.
Tappeditapp.
Die Gute Nachricht: der IC besaß das gleiche HighTech Equipment wie der ICE.
Die schlechte Nachricht: der letzte "Gast" hatte den Raum leider, leider, (seufz) leider nicht so verlassen, wie ich ihn gerne vorgefunden hätte. Leider.
Das Becken war ca. 10 cm hoch mit "Flüssigkeit, gelb", gefüllt. Ngnnnn. Nnn! Tröt.
Missbilligend werfe ich einen Blick auf die Reste dieses anonymen Ekels und drücke den "WC"-Knopf.
Ausser einem gurgelndem Geräusch passiert NICHTS. Ich will just anfangen, mein Urteil über den Vorbenutzer zu revidieren ("diese Toilette ist offensichtlich einfach kaputt") und erneut den Knopf drücken, da öffnet sich die kleine Luke am Grund des Beckens doch noch. Nur schien der Absaug-Mechanismus gestört.
Der Beckeninhalt wurde nämlich (Island läßt grüßen) plötzlich geysirartig nach oben gesprüht und erst danach vollständig durch die winzige Öffnung am Grund der Toilette gesaugt.
Sagte ich vollständig? Bis auf die Tropfen in meinen Gesicht, natürlich (Wange, Lippe).
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Wenn Sie mich entschuldigen wollen - ich verspüre plötzlich wieder das Verlangen nach einer heißen, ausufernden Dusche...

Ein Reisebericht | 19:12h | 9 Kommentare |comment