Gedenken an Verdun
Kennen Sie das unangenehme Gefühl, wenn Sie beim Schokoladevertilgen plötzlich etwas sehr hartes, klein-krümeliges mit Ihrer Zunge ertasten, dass eigentlich nicht zu Schokoschmelz und Gaumenfreude passen kann?
Normalerweise gibt es dann ja immer nur wenige Alternativen:
-ein alter Essensrest, aus den unendlichen Weiten Ihrer Mundhöhle zurückkehrt
-ein Sandkorn, das weiß der Kuckuck wie den Weg in Ihren Schlund gefunden hat
-ein Zuckerkristall aus der Schokolade ("pöh,wie kann man den bloß Schokolade so verkrümelt auf den Markt bringen").
Und dann noch die eine letzte Alternative, die man möglichst lange aus dem Bewußtsein verbannt: Ein Teil einer Ihrer Zahnfüllungen hat sich für unabhängig erklärt und die alte Heimat für immer verlassen.
Im Schokoklump fängt die hektische Suche nach dem harten, kratzigen etwas an, immerhin könnte eine Augeninspektion möglicherweise Klarheit schaffen.
Hat man den Störenfried dann zwischen den Fingern ("hoffentlich hat keiner gesehen, wie ich mir im Mund herumgestochert habe"), wird dieser gedreht, gedrückt, gerieben.
"Was hat es es da in seiner Hand?"
Wirkliche Sicherheit bringt das natürlich auch nicht. Folglich kommt jetzt die Phase II (wo sich bereits alle die befinden, die das krümelige Kleinod nach einem unbedachten Schokoschluck ["Gulp"] nicht mehr finden konnten).
Nun werden penibel und misstrauisch die Zahnreihen mit der Zunge abgetastet und auf uneingeschränkte Geschmeidigkeit getestet.
Jede noch so kleine Kante wird spätestens nach dem zehnten Abtasten zum Mariannengraben (im Mund fühlt sich halt immer alles so RIESIG an), und wehe, es entsteht der Verdacht, dass man ein LOCH entdeckt haben könnte. Zweitausendundsiebenunddreissig Abtastungen später verwirft man schließlich trotzig den Gedanke an ein Stück verlorener Füllung und wendet sich wieder seiner Schokolade zu.
Oder aber man ist sich nicht wirklich sicher.
Dann startet man Phase III:
Die Zunge rotiert im Dauerbetrieb um den verdächtigen Zahn und beim Griff an die eigene Stirn bemerkt man plötzlich kalten Angstschweiß.
Zu diesem Zeitpunkt versucht man sich dann künstlich zu beruhigen. Zwingt sich, die Zunge stillzuhalten.
Was dazu führt, dass man halt -wo möglich- mit der Lippe, der Wange und sonstigen Hilfsmittel den Zahn bearbeitet. Hierbei sieht man für gewöhnlich äußerst albern aus, also obacht, falls sich ein Passant in der Nähe befindet (Merke: guter Platz: abgeschlossene Toilette. Schlechter Ort: vollbesetztes Zugabteil).
In diesem Stadium befand ich mich, als ich meinen verdächtigen Schneidezahn mit der glatten Seite meines Daumennagels abstrich und mir dieser einen kleinen Kratzer in die Oberfläche des Nagels riss: So eine Art Riß, die ansonsten nur Schlittschuhe auf frischen Eisflächen hinterlassen.
Jammer, Klage, Zeter: Da war wirklich eine scharfe Kante an meinem Zahn.
Hatte sich was mit Einbildung.
Kurz darauf fiel mir dann ein erbsgroßes Stückchen Füllung aus dem Zahn entgegen (schluchz).
Nun sitze ich hier als Träger des hippen Verdun-Gedenkzahn: mit Krater.
Kurze laienhafte Beschreibung zur Krankengeschichte dieses Beißerchens:
Claus, 14 Jahre, Schulsport, Ellenbogenschlag ins Gesicht, halber Schneidezahn abgebrochen, Zahnarzt, künstlicher Aufsatz irgendwie draufgepeppt, einmal renoviert ("nein, ich will da KEINE Krone!), and now: in ruins.
Ich muss morgen also zum Zahnarzt. Doch zu welchem? Ich habe mich die letzten 2-3 Jahre gedrückt. Es gab da schließlich diesen üblen Abzockversuch beim letzten Mal:
Untermotorisierter Yachtbesitzer: "Krone?"
Geldesel: "NEIN"
Urlaubsreifer aber klammer Praxisbesitzer:"Da muss aber mal was gemacht werden"
Nächster Urlaub auf Ibiza:"Also, solange ich keine Problem mit dem Zahn habe, möchte ich keine Krone. Wozu auch."
Aktienspekulant mit einer Pechsträhne:"Wenn man das zulange schleifen lässt, kann der Zahn mal ganz kaputt gehen"
Störrischer Hauptgewinn:"Nein, das möchte ich jetzt nicht. Ich denke da lieber noch einmal in Ruhe drüber nach."
Ein Monat später dann der Anruf von der bezaubernden Zahnarzthelferin aus der Praxis des Hörrn Doktah:
Gurrendes Täubchen: "Hallo Herr Cla - haus (Name geändert und der Redaktion bekannt). Ihr Behandlungsplan wurde heute von Ihrer Krankenkasse bewilligt. Wann möchten Sie denn den ersten Termin haben, trallala?"
Verstörter Patient: "Äh, welchen Behandlungsplan denn?"
Chefin im Ring, leicht besorgt und irritiert: "Na, ihr Behandlungsplan. Für ihre KronEN."
Großes Fragezeichen: "KronEN? Was für Kronen?"
Doktors beste Kraft: "Sie haben doch mit Herrn Dr. bereits alles besprochen, ihre zwei Zähne sollen doch überkront werden."
Verunsichertes Häschen: "Nein, sollten sie nicht. Ich hatte gesagt, dass ich erstmal keine Krone will und darüber nachdenken möchte."
Abtissin vom Orden der dauergewellten Gehirnschmelze: "Ihr Behandlungsplan wurde doch jetzt aber endlich bewilligt u..-"
Misstrauisches Spitzohr: "Halt. Moment. Welcher Behandlungsplan eigentlich? Ich habe doch gar keinen Behandlungsplan unterschrieben oder bei meiner Krankenkasse eingereicht?"
Unschuld vom Lande: "Nein, das habe WIR für sie erledigt, und nun ist er zurück. Könnten wir jetzt bitte anfangen die Termine zu plan-"
Häuptling rot anlaufender Kopf: "Sie haben WAS? Ohne meine Einwilligung? Zu welchem Satz würde die Kasse denn jetzt überhaupt die Kosten übernehmen? Sie hatten doch gar nicht mein Bonusheft!?!"
Christel von der Post: "Äh, nein, hatten wir nicht, und darum bekommen Sie auch nur den Mindestsatz."
Heiliger Zorn und Rächer der Unterdrückten: "*#&%§*<" (zensiert)
Das war es dann. Nachdem ich sehr deutlich von mir gab, was ich von dererlei Bevormundung / Entmündigung / Unverschämtheit hielt, bin ich nie wieder zu diesem Zahnarzt gegangen. Und auch zu keinem andernen seiner Berufgenossen mehr.
Und jetzt, jetzt bräuchte ich doch wieder einen Dentisten. Dringend.
Am liebsten einen von der Sorte Menschenfreund. Mit Moral.
Der Morgens aus seiner kargen Steinhöhle in alten Jutesäcken gewandet tritt, um voller Elan und Schaffenskraft sich zur Arbeit in seine High-End- / State-of-the-Art-Praxis zu begeben. Zum Wohle seiner Patienten. Und mit großzügigen Öffnungszeiten. Auch Mittwochs.
Wie die Geschichte ausgegangen ist: demnächst hier, in diesem Theater
wenn es wieder heißt:
Schweine im Weltall, Folge 37:
Leontes te devorant (Die Löwen fressen dich auf [Danke, Asterix]).
Seufz.