Sonntag, 29. Dezember 2013
Ungewitter
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Am Spätnachmittag zogen wir uns neues Zeug
an, um in der Stadt einige Einkäufe zu besorgen;
denn im Moment gab es an Bord nichts zu machen.
Auf der Weser gibt es nämlich keine Proviantboote
wie auf dem Rhein, die den Schiffern die Eßwaren
an Bord bringen. Aber das macht auch nichts. Die
Schiffsjungen freuen sich, wenn sie an Land kön-
nen. Sonst müssen sie ja doch immer auf dem
Schiff bleiben: entweder sind sie unterwegs, oder
der Schiffsführer geht selbst an Land, und sie müssen
dann Bordwache halten. Nach ein paar Stunden
zog ein schweres Gewitter auf, und wir machten,
daß wir mit unseren eingekauften Lebensmitteln
noch trocken an Bord kamen. Da wir nichts mehr
zu tun hatten, nahmen wir uns ein Buch und
legten uns in die Koje. Da brach das Ungewitter auch
schon los. Wir waren froh, daß wir im Bett lagen
und hörten dem Regen, der auf die Kajüte prasselte,
zu, bis er uns eingeschläfert hatte.
Am nächsten Morgen war wieder das herr-
lichste Wetter. Gutgelaunt deckten wir die Luken
der Räume ab und machten die "M. S. Henni"
neben den mächtigen Schiffskörper fest. Dann
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Fernweh
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kein Licht zu bezahlen brauchen. Nur für die kleinen
Kinder ist es an Bord gefährlich. Man muß sehr
darauf aufpassen! Wie leicht können sie in einem
unbewachten Augenblick über Bord fallen! Wenn
sie 6 Jahre alt sind, und die Schule besuchen müssen,
werden sie in einem Schifferheim untergebracht,
in dem sie ihr Zuhause finden.
Als wir schon beim Mittagessen waren - wir hatten
solchen "Kohldampf" - kam endlich der Schiffer
mit der Nachricht wieder, daß wir am anderen Mor-
gen mit Einladen anfangen sollten. Als wir mit
Mittagessen und Saubermachen fertig waren, sahen
wir, wie grade der Getreidedampfer von zwei Schlep-
pern an seinen Platz bugsiert wurde; denn der große
Seedampfer selbst ist zu unwendig dazu. Beim
Anblick solchen Rie-
sens bekommen vie-
le Jungen Fernweh,
und mancher Schiffs-
junge ist schon vom
Binnenschiff zum
Seeschiff überge-
gangen.
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Frauen an Bord
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haus. Dort konnte ich mich stundenlang aufhalten, denn
von hier aus ließ sich alles überschauen. Auf meine
Bitte hin gab mit der Schiffsführer das Steuer in
die Hand; denn auf der Unterweser ist es nicht
schwer, ein Schiff zu führen. Das Fahrwasser ist
durch rote Bojen auf der einen Seite und durch
schwarze Bojen auf der anderen Seite gekennzeichnet.
Wie ich feststellte, muß man als Steuermann sehr
gute Augen haben. Mir taten sie schon nach kurzer
Zeit vom ewigen Aufpassen weh. Nach zwei Stunden,
gegen Mittag, kamen
wir in Brake an. Als
wir die M. S. Henni
an der Getreideanlage
-Karl Gross- , wo schon
ein paar auf Getreide
wartende Schiffe
angetäut waren, festmachten, ging der Schiffsführer
zum Hafenamt, um die M. S. Henni anzumelden.
Die meisten Schiffer haben ihre Frauen mit an
Bord. Auch unser Schiffer wohnt hier mit seiner
Frau; denn auf dem Schiff können sie billiger leben
als an Land, weil sie keine Kohlen, keine Miete und
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